Bericht Saarbrücker Zeitung 30.07.2020
Nach den Profis fahren auch die unteren Ligen den Betrieb wieder hoch. Je nach Bundesland sind die Voraussetzungen sehr unterschiedlich. Von Christoph Lother
STUTTGART | (dpa/red) Es ist ein Neustart ins Ungewisse. Nach monatelanger Corona-Zwangspause fährt der Amateurfußball den Betrieb vielerorts wieder hoch. Die fast 25 000 Clubs, die beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) registriert sind, haben die erste Welle der Pandemie überstanden. Mal mit mehr, mal mit weniger Schrammen. Noch sind aber gar nicht alle Folgen absehbar. „Der Amateurfußball hat in dieser Krise seine Kraft entfaltet, das stimmt mich zuversichtlich“, sagt DFB-Vizepräsident Rainer Koch: „Aber wir alle müssen auch etwas dafür tun, dass er so stark bleibt und diese Krise, die sich keiner ausgesucht hat, durchsteht.“
Die befürchteten Massenabmeldungen von Mannschaften sind bisher ausgeblieben. In Baden beispielsweise sind zwar nur noch 844 statt der 888 Herren-Teams aus dem Vorjahr gemeldet, in Sachsen nur noch 1045 statt 1060. Die Verbände führen das aber nicht auf Corona zurück. Schon in den vergangenen Jahren war ein Schwund zu beobachten. Und angesichts der knapp 55 000 Herren-Mannschaften, die der DFB bei seiner letzten Erhebung im Januar zählte, hält er sich in Grenzen.
In zahlreichen Bundesländern gab‘s schon wieder Vorbereitungs- und Pokalspiele, im September sollen die Meisterschaftsrunden starten. Die föderale Struktur des DFB mit 21 Landesverbänden bedeutet aber auch, dass die Verfügungslagen je Bundesland unterschiedlich sind.
In Bayern soll die alte, abgebrochene Saison im September fortgesetzt werden. Jetzt wurde aber die sechste Fassung der bayerischen Infektionsschutzverordnung um zwei weitere Wochen bis zum 16. August verlängert. Damit wären weiter keine Testspiele erlaubt. Koch, Präsident des Bayerischen Fußball-Verbandes (BFV), reagierte mit heftiger Kritik auf die ausgebliebenen Lockerungen. Und prompt hieß es am Mittwochnachmittag, dass auch die bayerischen Amateurvereine Freundschafts- und Testspiele austragen dürfen. Das entschied das für den Sport zuständige Innenministerium am Mittwoch in München, wie ein Sprecher sagte. Als Vorsichtsmaßnahme sind Zuschauer bei den Partien aber nicht erlaubt. Die unterschiedliche Lage führte in den vergangenen Wochen zu einem „Testspiel-Tourismus“. So fuhren Teams aus Hessen nach Niedersachen oder Thüringen und Mannschaften aus Bayern nach Baden-Württemberg.
Bis auf Bayern soll also im August und September eine neue Saison angepfiffen werden. Und zwar mit einem Hygiene-Leitfaden des DFB, der die Spielstätten fortan in drei Zonen teilt (Spielfeld, Umkleidebereich, Publikumsbereich). Die Clubs desinfizieren ihre Bälle, tragen die Zuschauer in Listen ein, lassen ihre Spieler in Etappen duschen. Viel Aufwand für oft wenig Personal. Dennoch überwiegt dort, wo schon wieder gespielt werden darf, die Dankbarkeit. Die Befürchtungen, dass während der Pause etliche Mitglieder austreten könnten, haben sich vielerorts noch nicht bestätigt.
„In finanzieller Hinsicht aber hat es unsere Vereine schwerer getroffen, weil sie beispielsweise auf die Pacht des Wirtes ihres Vereinsheimes, das ja auch geschlossen war, verzichten mussten oder keine Sommerfeste und Jugendturniere austragen konnten“, sagt DFB-Vize Koch: „In den einzelnen Bundesländern gab es unterschiedliche Lösungen wie Soforthilfen oder etwa verdoppelte Übungsleiter-Pauschalen. Dafür haben wir uns mit unseren Landesverbänden bei der Politik stark gemacht.“ Einige Clubs halfen sich auch selbst, verkauften virtuelle Tickets oder Bratwürste.
Teils werden in der neuen Saison die Ligen aufgestockt, da es nach dem Lockdown in den meisten Fällen zwar Auf-, aber keine Absteiger gab. Im Saarland gab es Aufsteiger und Absteiger (die Tabellenletzten).
Weitere Probleme bereiten aufgeblähte Ligen. So kehrte die 2. Bundesliga der Frauen mit dem 1. FC Saarbrücken angesichts von 19 Vereinen nach einer Abstimmung für eine Saison zur zweigleisigen Lösung mit einer Nord- und einer Südstaffel zurück. Auch die A-Jugend-Bundesliga mit Aufsteiger 1. FC Saarbrücken spielt wie die B-Jugend-Bundesliga nur eine einfache Runde. So sind es 26 statt 34 Spiele, die bei einem verspäteten Saisonstart nicht zu stemmen gewesen wären. Die Regionalliga Südwest und Regionalliga West der Herren ziehen dagegen ihre Mammut-Runden durch, 22 Vereine in beiden Ligen bedeuten jeweils 42 Spieltage. Manche Ligen wie die Oberliga Rheinland-Pfalz/Saar versuchen es auch mit einem neuen Modus, auf eine Hinrunde folgen eine Meisterschafts- und eine Abstiegsrunde.
Da sie ihre Spieler oft pro Einsatz, aber nicht fortlaufend bezahlen, hatten viele Vereine aus den unteren Ligen immerhin kaum Ausgaben. Anders als die in den Regional- oder Oberligen, wo oft feste Monatsgehälter fließen und die Zuschauereinnahmen deutlich mehr ins Gewicht fallen. „Vereine, die signifikante Spieler- und Trainergehälter zahlen, haben jetzt auch entsprechend größere Nöte“, sagt Koch: „Profifußballer in der Oberliga sind keine gute Idee. Der Amateurfußball ist in den letzten Jahren viel zu teuer und in einigen Fällen fast nicht mehr finanzierbar geworden. Vielleicht bringt das Corona-Virus uns alle wieder zur Vernunft. Hoffentlich ohne Insolvenzen.“
Ex-Bundesligist Stuttgarter Kickers, in der Oberliga Baden-Württemberg jetzt fünftklassig, musste zum Beispiel den Etat für die erste Mannschaft um fast 15 Prozent senken. Und Regionalligist Rot-Weiß Essen büßte zehn Prozent seines Umsatzes ein. „Rund zwei der gut sieben Millionen Euro, die dieser Verein im Jahr einnimmt, stammen aus Zuschauereinnahmen“, sagt Vorstandschef Marcus Uhlig.
Viele Amateure befürchten jetzt, dass die Schere zum Profifußball noch weiter auseinandergehen wird. Auch, weil die oben ihre TV-Einnahmen und somit eine sichere Geldquelle haben – ob bei Geister- oder normaler Kulisse. Weil keiner weiß, wie lange seine Sponsoren tatsächlich bei der Stange bleiben. Und ob nicht noch ein weiterer Abbruch kommt. Und nicht nur DFB-Vize Koch glaubt: „Wir können wohl erst dann wieder von einer Normalität sprechen, wenn ein Impfstoff gefunden ist oder es entsprechende Medikamente gibt.“
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